ITZ Blog

Zivilcourage in der Zivilgesellschaft – Schutz von Whistleblower*innen in NGOs

16.12.2022 16.12.2022 David Werdermann Hilfreiche Informationen Vereine Transparenz Zivilgesellschaft

Auch in der Zivilgesellschaft kommt es zu Fehlverhalten. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte hat daher mit vier anderen NGOs eine Whistleblowing Policy entwickelt. Sie etabliert eine interne Meldestelle und schützt Whistleblower*innen in den NGOs. Weitere Organisationen können sich anschließen.

Es ist nicht alles gut bei „den Guten“. Auch in gemeinnützigen und karitativen Organisationen kann es zu Machtmissbrauch und anderem Fehlverhalten kommen. Um Missstände aufzudecken und beheben zu können, sind Organisationen auf Hinweise von Beschäftigten und Ehrenamtlichen angewiesen. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte hat daher zusammen mit Transparency International Deutschland, Whistleblower-Netzwerk, LobbyControl und foodwatch eine Whistleblowing Policy für die Zivilgesellschaft erarbeitet. Es handelt sich um eine gemeinsame Selbstverpflichtung, die gewährleistet, dass Hinweisen auf Fehlverhalten in einem geordneten Verfahren nachgegangen wird und Whistleblower*innen geschützt werden. Sie geht teilweise über die gesetzlichen Vorgaben hinaus und so mit gutem Beispiel voran.

Die EU-Whistleblowing-Richtlinie und das Hinweisgeberschutzgesetz

Hintergrund der Policy ist die EU-Whistleblowing-Richtlinie. Diese wurde 2019 verabschiedet und verpflichtet die EU-Mitgliedsstaaten dazu, Whistleblower*innen besser zu schützen. Deutschland hätte die Richtlinie eigentlich schon bis Ende 2021 umsetzen müssen. Aber erst am 16. Dezember 2022 wurde das Hinweisgeberschutzgesetz vom Bundestag beschlossen. Wenn es auch den Bundesrat passiert, wird es im Laufe des Jahres 2023 in Kraft treten.

Kern des Hinweisgeberschutzgesetzes ist die verpflichtende Einrichtung von internen Meldestellen durch Arbeitgeber*innen. Diese Pflicht gilt nicht nur für Unternehmen und Behörden, sondern auch für Vereine und andere Organisationen. Jedoch sind Organisationen mit weniger als 50 Beschäftigten von der Pflicht ausgenommen. Bei mittelgroßen Organisationen mit 50 bis 249 Mitarbeitenden soll die Pflicht zur Einrichtung einer internen Meldestelle erst ab dem 17. Dezember 2023 gelten.

Daneben wird durch das geplante Hinweisgeberschutzgesetz eine externe Meldestelle eingerichtet. Es handelt sich um eine Behörde, an die sich Beschäftigte – auch solche von kleinen Organisationen – wenden können, wenn sie bestimmte Verstöße melden wollen. Die Hinweisgebenden dürfen frei wählen, ob sie sich an die interne Meldestelle (falls es eine solche gibt) oder an die externe Behörde wenden. Unter besonderen Voraussetzungen kommt auch die Offenlegung gegenüber der Presse in Betracht.

Ergänzt werden die Meldewege durch verschiedene Schutzvorschriften für Whistleblower*innen. So sind Meldungen vertraulich zu behandeln. Das heißt, die Identität der hinweisgebenden Person darf grundsätzlich nicht gegenüber Dritten offengelegt werden. Anonyme Meldungen müssen hingegen erst ab 2025 ermöglicht werden. Zudem gilt ein strenges Repressalienverbot. Whistleblower*innen dürfen für ihre Meldungen keinen Nachteil erleiden. Sie dürfen etwa nicht gekündigt, versetzt oder gemobbt werden.

Eine Whistleblowing Policy für die Zivilgesellschaft

Das Hinweisgeberschutzgesetz ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu einem besseren Schutz von Whistleblower*innen. Gleichzeitig bleibt der gesetzliche Schutz hinter dem zurück, was eigentlich notwendig wäre, um Zivilcourage effektiv zu fördern. Die Whistleblowing Policy für die Zivilgesellschaft geht daher an einigen Stellen über die gesetzlichen Vorgaben hinaus.

So sollen nach der Whistleblowing Policy für NGOs nicht nur Verstöße gegen bestimmte Rechtsvorschriften gemeldet werden können, sondern auch Diskriminierung und sonstiges erhebliches Fehlverhalten, wie zum Beispiel Machtmissbrauch. Das fehlt im Hinweisgeberschutzgesetz, obwohl auch die Ampel-Koalition einen umfassenden Schutz versprochen hatte. Geschützt werden nach der Policy zudem nicht nur Beschäftigte, sondern auch Vereinsmitglieder und Ehrenamtliche. Auch sie dürfen keine Nachteile erleiden, wenn sie auf Missstände aufmerksam machen.

Die beteiligten Organisationen richten eine gemeinsame interne Meldestelle ein, obwohl sie weniger als 50 Mitarbeitende haben und daher gesetzlich nicht dazu verpflichtet sind. Das ist im Interesse der Hinweisgebenden aber auch im Interesse der Organisationen. Denn viele Whistleblower*innen wollen sich gar nicht an eine externe Behörde wenden, sondern bevorzugen es, Missstände zunächst intern anzusprechen – vorausgesetzt den Hinweisen wird nachgegangen und sie müssen keine Angst vor Sanktionen haben. Um die Hürde für Meldungen möglichst gering zu halten, werden zudem anonyme Meldungen ermöglicht. Für die fünf an der Policy beteiligten Personen wird Rechtsanwalt Fabian Tietz als Vertrauensperson die Funktion der internen Meldestelle erfüllen. Der Umgang mit Meldungen ist in einer Verfahrensordnung geregelt (siehe Anlage zur Policy).

Schließlich ermöglicht die Policy auch unter bestimmten Voraussetzungen die Offenlegung von Missständen gegenüber der Presse. Nach dem Hinweisgeberschutzgesetz müssen Verstöße grundsätzlich zuerst an die externe Behörde gemeldet werden. Nur wenn das erfolglos war oder nicht zumutbar ist, dürfen sich Whistleblower*innen an die Öffentlichkeit wenden. Die Policy für die Zivilgesellschaft ist weiter und ermöglicht die unmittelbare Offenlegung auch bei schwerwiegendem Fehlverhalten, bei dem die Öffentlichkeit ein berechtigtes Interesse hat, hiervon zu erfahren. Das schafft Transparenz und stärkt die Meinungs- und Pressefreiheit.

Whistleblowing in NGOs – wie weiter?

Mit der Verabschiedung Whistleblowing Policy gehen fünf Organisationen voran, die sich seit vielen Jahren mit Whistleblowing und Korruptionsbekämpfung beschäftigen. Aber auch andere Vereine und NGOs sind aufgerufen, die Policy zu unterzeichnen, um Zivilcourage in den eigenen Reihen zu fördern. Interessierte Organisationen können sich an die Gesellschaft für Freiheitsrechte wenden. Das Whistleblower-Netzwerk bietet zudem Beratungen und Schulungen an. Auch Transparency International Deutschland beschäftigt sich schon lange mit dem Thema und organisiert regelmäßig Veranstaltungen.

Wichtiger noch als der institutionelle Rahmen ist jedoch ein Bewusstseinswandel: Whistleblower*innen dürfen nicht als Denunziant*innen oder Nestbeschmutzer*innen betrachtet werden. Indem sie auf Fehlverhalten aufmerksam machen, zeigen sie Zivilcourage. Sie handeln nicht nur im öffentlichen Interesse, sondern auch im Interesse der betroffenen Organisationen, die in die Lage versetzt werden, auf Missstände zu reagieren. Whistleblower*innen verdienen daher Anerkennung und Schutz – auch in NGOs.

David Werdermann ist Rechtsanwalt und koordiniert bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) das Projekt Zivilcourage, das sich für einen besseren Schutz von Whistleblower*innen einsetzt.

Weitere Informationen

melden

zurück zur Liste