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Diese Demokratie ist schwer zu verteidigen! - Rupert Strachwitz zum Vorgehen gegen die Letzte Generation

05.06.2023 07.06.2023 MAECENATA STIFTUNG Zivilgesellschaft in der öffentlichen Debatte Demokratie Klima und Umweltschutz Zivilgesellschaft

In der vergangenen Woche sind Staatsanwaltschaft und Polizei in Deutschland in einer Weise gegen eine zivilgesellschaftliche Organisation vorgegangen, die diesen Grundsätzen nicht entspricht.

Diese Demokratie ist schwer zu verteidigen!

In einer Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen, die als Allgemeine Erklärung der Menschenrechte bekannt geworden ist[1], wurden vor 75 Jahren Grundsätze einer freiheitlichen, offenen Gesellschaft festgeschrieben. Im Mittelpunkt dieser Erklärung standen „die Anerkennung der angeborenen Würde und der gleichen und unveräußerlichen Rechte aller Mitglieder der Gemeinschaft der Menschen“, „die Herrschaft des Rechts“, „die grundlegenden Menschenrechte“, „die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit“ und grundlegende Bürgerrechte wie „das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung“, „das Recht, sich friedlich zu versammeln und zu Vereinigungen zusammenzuschließen“ und „das Recht, an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten … unmittelbar oder durch frei gewählte Vertreter mitzuwirken“. Die Unterzeichner stellen auch fest: „Der Wille des Volkes bildet die Grundlage für die Autorität der öffentlichen Gewalt.“

Europa nimmt für sich in Anspruch, diese Grundsätze nicht nur maßgeblich entwickelt und gepflegt zu haben, sondern ihnen überall auf der Welt zur Geltung verhelfen zu wollen. In grundlegenden Dokumenten des Europarats und der Europäischen Union wurden sie bekräftigt. Auch das Grundgesetz formuliert die Grundrechte ähnlich. Der vom Economist herausgegebene Demokratieindex 2022 stützt diesen Anspruch jedoch nur zum Teil. Von den 27 EU-Mitgliedsstaaten werden 17 als eingeschränkte Demokratien (flawed democracies) bezeichnet, nur 10 als volle Demokratien (full democracies). Unter den letzteren rangiert Schweden weltweit auf Rang 4, gefolgt von Finnland (5), Dänemark (6), Irland (8), den Niederlanden (9), Luxemburg (13), Deutschland (14), Österreich (20) sowie Frankreich und Spanien (beide 22). Das Schlußlicht in der EU bildet Rumänien als flawed democracy auf Rang 61 der insgesamt 167 untersuchten Länder[2]. Insofern hat die Europäische Union jeden Grund, diese Thematik ernst zu nehmen und mit hoher Priorität an Verbesserungen zu arbeiten.

In der vergangenen Woche sind Staatsanwaltschaft und Polizei in Deutschland in einer Weise gegen eine zivilgesellschaftliche Organisation vorgegangen, die diesen Grundsätzen nicht entspricht. Späteres Zurückrudern hin oder her –  auch nur auf die Idee zu kommen, sich als Organe eines Rechtsstaates in so eklatanter Weise über etablierte Verfahren eben dieses Rechtsstaates hinwegsetzen zu können, zeigt uns und der Welt, daß es in Deutschland um Grundprinzipien unserer freiheitlichen Ordnung schlecht bestellt ist. Es geht dabei wohlgemerkt nur sehr bedingt um den Einzelfall, das Vorgehen gegen die Aktivisten und Aktivistinnenen von Last Generation. Deren Aktionen sind nicht zu billigen, auch wenn ihr Anliegen berechtigt ist. Sie stehen keinesfalls mit ihrem Verhalten unter einem besonderen Schutz des freiheitlichen Staates, der es diesem untersagen würde, den Aktionen Grenzen zu setzen und Grenzüberschreitungen mit den Möglichkeiten, die das Gesetz bietet, zu ahnden. Auch „für die gute Sache“ ist eben mitnichten alles erlaubt. Aber: Aktivisten müssen wie jeder andere Bürger davon ausgehen können, daß jeder Beamte, jeder Richter die Grenzen kennt, die das Recht ihnen setzt. Daß Staatsdiener geglaubt haben, sich an einer Stelle, an der sie inhaltlich wohl die meisten Menschen auf ihrer Seite haben, darüber hinwegsetzen zu können, zeigt, wie schlecht es um die freiheitlich-demokratische Grundordnung bestellt ist. Kein Wunder daß dieser Begriff zu einem unverständlichen Nuschelwort verkommen ist.

Hier geht eine Saat auf, die fast täglich gesät wird. In jeder der vielen beliebten Polizei-Vorabend-Serien kann man bei genauerem Hinsehen kleinere Übergriffigkeiten beobachten: Verstöße gegen die Unverletztlichkeit der Wohnung sind dafür ein Beispiel. In sich und für sich allein genommen mögen sie harmlos sein, auch wenn schon die Tatsache, daß viele dieser Serien mit tatkräftiger Unterstützung der Polizei entstehen, bedenklich stimmen sollte. Vor allem aber bilden sie den Anfang eines Prozesses, an deren Ende maßlose Übertreibungen in der Beurteilung von Sachverhalten, Razzien und Beschlagnahmungen von Vermögen stehen, Forderungen nach Verboten für ausländische Unterstützung inklusive. Wenn gleichzeitig Beamte fast oder ganz ungestraft davonkommen, die den Rechtsstaat in ihrem Privatleben in Frage stellen, während Wissenschaftlerinnen, die das, zugegebenermaßen mit falscher Wortwahl, anprangern, schwerste berufliche Folgen erleiden, läuten endgültig die Alarmglocken.

Dabei ist das ja noch nicht alles. Obwohl es Bürgerin und Bürger kaum glauben können, es gibt tatsächlich Menschen, die dem Staat und den staatsnahen Unternehmungen von der Bahn bis zu den Sozialversicherungsträgern pauschal zubilligen, in der Erbringung von Basisdienstleistungen schlechter sein zu dürfen als vergleichbare private Anbieter – oder als andere Staaten. Leistung wird durch immer mehr Kontrollen und bürokratischen Mechanismen ersetzt. Sicherheit wird ganz groß geschrieben. Aber geht es wirklich um die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger oder doch nicht nur um die des Staatsapparats?

Hier weiterlesen: https://www.maecenata.eu/2023/05/30/observatorium-67-diese-demokratie-ist-schwer-zu-verteidigen/

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